Studierzimmer | 
Faust. Mephistopheles.
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Faust 
Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen? 
 |  1530
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Mephistopheles 
Ich bin's. 
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Faust 
Herein! 
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Mephistopheles 
Du mußt es dreimal sagen. 
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Faust 
Herein denn! 
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Mephistopheles 
So gefällst du mir.  
Wir werden, hoff ich, uns vertragen; 
Denn dir die Grillen zu verjagen, 
Bin ich als edler Junker hier, 
In rotem, goldverbrämtem Kleide, 
Das Mäntelchen von starrer Seide, 
Die Hahnenfeder auf dem Hut, 
Mit einem langen, spitzen Degen, 
Und rate nun dir, kurz und gut, 
Dergleichen gleichfalls anzulegen; 
Damit du, losgebunden, frei, 
Erfahrest, was das Leben sei. 
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  1535
 
 
 
  1540
 
 
 
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Faust 
In jedem Kleide werd ich wohl die Pein 
Des engen Erdelebens fühlen. 
Ich bin zu alt, um nur zu spielen, 
Zu jung, um ohne Wunsch zu sein. 
Was kann die Welt mir wohl gewähren? 
Entbehren sollst du! sollst entbehren! 
Das ist der ewige Gesang, 
Der jedem an die Ohren klingt, 
Den, unser ganzes Leben lang, 
Uns heiser jede Stunde singt. 
Nur mit Entsetzen wach ich morgens auf, 
Ich möchte bittre Tränen weinen, 
Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf 
Nicht einen Wunsch erfüllen wird, nicht einen, 
Der selbst die Ahnung jeder Lust 
Mit eigensinnigem Krittel mindert, 
Die Schöpfung meiner regen Brust 
Mit tausend Lebensfratzen hindert. 
Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt, 
Mich ängstlich auf das Lager strecken; 
Auch da wird keine Rast geschenkt, 
Mich werden wilde Träume schrecken. 
Der Gott, der mir im Busen wohnt, 
Kann tief mein Innerstes erregen; 
Der über allen meinen Kräften thront, 
Er kann nach außen nichts bewegen; 
Und so ist mir das Dasein eine Last, 
Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt. 
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  1545
 
 
 
  1550
 
 
 
  1555
 
 
 
  1560
 
 
 
  1565
 
 
 
  1570
 
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Mephistopheles 
Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast. 
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Faust 
O selig der, dem er im Siegesglanze 
Die blut'gen Lorbeern um die Schläfe windet, 
Den er, nach rasch durchrastem Tanze, 
In eines Mädchens Armen findet! 
O wär ich vor des hohen Geistes Kraft 
Entzückt, entseelt dahin gesunken! 
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  1575
 
 
 
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Mephistopheles 
Und doch hat jemand einen braunen Saft, 
In jener Nacht, nicht ausgetrunken. 
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  1580
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Faust 
Das Spionieren, scheint's, ist deine Lust. 
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Mephistopheles 
Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt. 
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Faust 
Wenn aus dem schrecklichen Gewühle 
Ein süß bekannter Ton mich zog, 
Den Rest von kindlichem Gefühle 
Mit Anklang froher Zeit betrog, 
So fluch ich allem, was die Seele 
Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt, 
Und sie in diese Trauerhöhle 
Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt! 
Verflucht voraus die hohe Meinung 
Womit der Geist sich selbst umfängt! 
Verflucht das Blenden der Erscheinung, 
Die sich an unsre Sinne drängt! 
Verflucht, was uns in Träumen heuchelt 
Des Ruhms, der Namensdauer Trug! 
Verflucht, was als Besitz uns schmeichelt, 
Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug! 
Verflucht sei Mammon, wenn mit Schätzen 
Er uns zu kühnen Taten regt, 
Wenn er zu müßigem Ergetzen 
Die Polster uns zurechte legt! 
Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben! 
Fluch jener höchsten Liebeshuld! 
Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben, 
Und Fluch vor allen der Geduld! 
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  1585
 
 
 
  1590
 
 
 
  1595
 
 
 
  1600
 
 
 
  1605
 
  | 
Geisterchor (unsichtbar) 
Weh! weh! 
Du hast sie zerstört 
Die schöne Welt, 
Mit mächtiger Faust; 
Sie stürzt, sie zerfällt! 
Ein Halbgott hat sie zerschlagen! 
Wir tragen 
Die Trümmern ins Nichts hinüber, 
Und klagen 
Über die verlorne Schöne. 
Mächtiger 
Der Erdensöhne, 
Prächtiger 
Baue sie wieder, 
In deinem Busen baue sie auf! 
Neuen Lebenslauf 
Beginne, 
Mit hellem Sinne, 
Und neue Lieder 
Tönen darauf! 
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  1610
 
 
 
  1615
 
 
 
  1620
 
 
 
  1625
 
  | 
Mephistopheles 
Dies sind die Kleinen 
Von den Meinen. 
Höre, wie zu Lust und Taten 
Altklug sie raten! 
In die Welt weit, 
Aus der Einsamkeit 
Wo Sinnen und Säfte stocken, 
Wollen sie dich locken. 
Hör auf, mit deinem Gram zu spielen, 
Der, wie ein Geier, dir am Leben frißt; 
Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen, 
Daß du ein Mensch mit Menschen bist. 
Doch so ist's nicht gemeint 
Dich unter das Pack zu stoßen. 
Ich bin keiner von den Großen; 
Doch willst du, mit mir vereint, 
Deine Schritte durchs Leben nehmen, 
So will ich mich gern bequemen, 
Dein zu sein, auf der Stelle. 
Ich bin dein Geselle, 
Und mach ich dir's recht, 
Bin ich dein Diener, bin dein Knecht! 
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  1630
 
 
 
  1635
 
 
 
  1640
 
 
 
  1645
 
 
 
  | 
Faust 
Und was soll ich dagegen dir erfüllen? 
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  | 
Mephistopheles 
Dazu hast du noch eine lange Frist. 
 |  1650
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Faust 
Nein, nein! der Teufel ist ein Egoist 
Und tut nicht leicht um Gottes willen, 
Was einem andern nützlich ist. 
Sprich die Bedingung deutlich aus; 
Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus. 
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  1655
  | 
Mephistopheles 
Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, 
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; 
Wenn wir uns drüben wiederfinden, 
So sollst du mir das gleiche tun. 
 | 
 
 
 
 
  | 
Faust 
Das Drüben kann mich wenig kümmern; 
Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern, 
Die andre mag darnach entstehn. 
Aus dieser Erde quillen meine Freuden, 
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden; 
Kann ich mich erst von ihnen scheiden, 
Dann mag, was will und kann, geschehn. 
Davon will ich nichts weiter hören, 
Ob man auch künftig haßt und liebt, 
Und ob es auch in jenen Sphären 
Ein Oben oder Unten gibt. 
 |  1660
 
 
 
  1665
 
 
 
  1670
  | 
Mephistopheles 
In diesem Sinne kannst du's wagen. 
Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen, 
Mit Freuden meine Künste sehn, 
Ich gebe dir, was noch kein Mensch gesehn. 
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  | 
Faust 
Was willst du armer Teufel geben? 
Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben, 
Von deinesgleichen je gefaßt? 
Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast 
Du rotes Gold, das ohne Rast, 
Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt, 
Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt, 
Ein Mädchen, das an meiner Brust 
Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet, 
Der Ehre schöne Götterlust, 
Die, wie ein Meteor, verschwindet? 
Zeig mir die Frucht, die fault, eh man sie bricht, 
Und Bäume, die sich täglich neu begrünen! 
 |  1675
 
 
 
  1680
 
 
 
  1685
 
 
  | 
Mephistopheles 
Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht, 
Mit solchen Schätzen kann ich dienen. 
Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran, 
Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen. 
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  1690
 
  | 
Faust 
Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, 
So sei es gleich um mich getan! 
Kannst du mich schmeichelnd je belügen, 
Daß ich mir selbst gefallen mag, 
Kannst du mich mit Genuß betrügen- 
Das sei für mich der letzte Tag! 
Die Wette biet ich! 
 | 
 
 
  1695
 
 
 
  | 
Mephistopheles 
Topp! 
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  | 
Faust 
Und Schlag auf Schlag!  
Werd ich zum Augenblicke sagen: 
Verweile doch! du bist so schön! 
Dann magst du mich in Fesseln schlagen, 
Dann will ich gern zugrunde gehn! 
Dann mag die Totenglocke schallen, 
Dann bist du deines Dienstes frei, 
Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen, 
Es sei die Zeit für mich vorbei! 
 | 
 
  1700
 
 
 
  1705
 
  | 
Mephistopheles 
Bedenk es wohl, wir werden's nicht vergessen. 
 | 
 
  | 
Faust 
Dazu hast du ein volles Recht; 
Ich habe mich nicht freventlich vermessen. 
Wie ich beharre, bin ich Knecht, 
Ob dein, was frag ich, oder wessen. 
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  1710
 
  | 
Mephistopheles 
Ich werde heute gleich, beim Doktorschmaus, 
Als Diener meine Pflicht erfüllen. 
Nur eins!- Um Lebens oder Sterbens willen 
Bitt ich mir ein paar Zeilen aus. 
 | 
 
 
  1715
  | 
Faust 
Auch was Geschriebnes forderst du Pedant? 
Hast du noch keinen Mann, nicht Manneswort gekannt? 
Ist's nicht genug, daß mein gesprochnes Wort 
Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten? 
Rast nicht die Welt in allen Strömen fort, 
Und mich soll ein Versprechen halten? 
Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt, 
Wer mag sich gern davon befreien? 
Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt, 
Kein Opfer wird ihn je gereuen! 
Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt, 
Ist ein Gespenst, vor dem sich alle scheuen. 
Das Wort erstirbt schon in der Feder, 
Die Herrschaft führen Wachs und Leder. 
Was willst du böser Geist von mir? 
Erz, Marmor, Pergament, Papier? 
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben? 
Ich gebe jede Wahl dir frei. 
 | 
 
 
 
  1720
 
 
 
  1725
 
 
 
  1730
 
 
 
  | 
Mephistopheles 
Wie magst du deine Rednerei 
Nur gleich so hitzig übertreiben? 
Ist doch ein jedes Blättchen gut. 
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut. 
 | 
  1735
 
 
  | 
Faust 
Wenn dies dir völlig Gnüge tut, 
So mag es bei der Fratze bleiben. 
 | 
 
 
  | 
Mephistopheles 
Blut ist ein ganz besondrer Saft. 
 |  1740
  | 
Faust 
Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche! 
Das Streben meiner ganzen Kraft 
Ist grade das, was ich verspreche. 
Ich habe mich zu hoch gebläht, 
In deinen Rang gehör ich nur. 
Der große Geist hat mich verschmäht, 
Vor mir verschließt sich die Natur 
Des Denkens Faden ist zerrissen 
Mir ekelt lange vor allem Wissen. 
Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit 
Uns glühende Leidenschaften stillen! 
In undurchdrungnen Zauberhüllen 
Sei jedes Wunder gleich bereit! 
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit, 
Ins Rollen der Begebenheit! 
Da mag denn Schmerz und Genuß, 
Gelingen und Verdruß 
Miteinander wechseln, wie es kann; 
Nur rastlos betätigt sich der Mann. 
 | 
 
 
 
  1745
 
 
 
  1750
 
 
 
  1755
 
 
 
 
  | 
Mephistopheles 
Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt. 
Beliebt's Euch, überall zu naschen, 
Im Fliehen etwas zu erhaschen, 
Bekomm Euch wohl, was Euch ergetzt. 
Nur greift mir zu und seid nicht blöde! 
 |  1760
 
 
 
 
  | 
Faust 
Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede. 
Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichsten Genuß, 
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß. 
Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist, 
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen, 
Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, 
Will ich in meinem innern Selbst genießen, 
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen, 
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen, 
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern, 
Und, wie sie selbst, am End auch ich zerscheitern. 
 |  1765
 
 
 
  1770
 
 
 
  1775
  | 
Mephistopheles 
O glaube mir, der manche tausend Jahre 
An dieser harten Speise kaut 
Daß von der Wiege bis zur Bahre 
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut! 
Glaub unsereinem, dieses Ganze 
Ist nur für einen Gott gemacht! 
Er findet sich in einem ew'gen Glanze 
Uns hat er in die Finsternis gebracht, 
Und euch taugt einzig Tag und Nacht. 
 | 
 
 
 
  1780
 
 
 
 
  | 
Faust 
Allein ich will! 
 |  1785
  | 
Mephistopheles 
Das läßt sich hören! Doch nur vor einem ist mir bang: 
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang. 
Ich dächt, ihr ließet Euch belehren. 
Assoziiert Euch mit einem Poeten, 
Laßt den Herrn in Gedanken schweifen, 
Und alle edlen Qualitäten 
Auf Euren Ehrenscheitel häufen, 
Des Löwen Mut, 
Des Hirsches Schnelligkeit, 
Des Italieners feurig Blut, 
Des Nordens Dau'rbarkeit. 
Laßt ihn Euch das Geheimnis finden, 
Großmut und Arglist zu verbinden, 
Und Euch, mit warmen Jugendtrieben, 
Nach einem Plane zu verlieben. 
Möchte selbst solch einen Herren kennen, 
Würd ihn Herrn Mikrokosmus nennen. 
 | 
 
 
 
  1790
 
 
 
  1795
 
 
 
  1800
 
 
  | 
Faust 
Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist, 
Der Menschheit Krone zu erringen, 
Nach der sich alle Sinne dringen? 
 | 
 
  1805
  | 
Mephistopheles 
Du bist am Ende- was du bist. 
Setz dir Perücken auf von Millionen Locken, 
Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken, 
Du bleibst doch immer, was du bist. 
 | 
 
 
 
 
  | 
Faust 
Ich fühl's, vergebens hab ich alle Schätze 
Des Menschengeists auf mich herbeigerafft, 
Und wenn ich mich am Ende niedersetze, 
Quillt innerlich doch keine neue Kraft; 
Ich bin nicht um ein Haar breit höher, 
Bin dem Unendlichen nicht näher. 
 |  1810
 
 
 
  1815
  | 
Mephistopheles 
Mein guter Herr, Ihr seht die Sachen, 
Wie man die Sachen eben sieht; 
Wir müssen das gescheiter machen, 
Eh uns des Lebens Freude flieht. 
Was Henker! freilich Händ und Füße 
Und Kopf und H[intern], die sind dein; 
Doch alles, was ich frisch genieße, 
Ist das drum weniger mein? 
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann, 
Sind ihre Kräfte nicht die meine? 
Ich renne zu und bin ein rechter Mann, 
Als hätt ich vierundzwanzig Beine. 
Drum frisch! Laß alles Sinnen sein, 
Und grad mit in die Welt hinein! 
Ich sag es dir: ein Kerl, der spekuliert, 
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide 
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt, 
Und rings umher liegt schöne grüne Weide. 
 | 
 
 
 
  1820
 
 
 
  1825
 
 
 
  1830
 
 
 
  | 
Faust 
Wie fangen wir das an? 
 | 
 
  | 
Mephistopheles 
Wir gehen eben fort. Was ist das für ein Marterort? 
Was heißt das für ein Leben führen, 
Sich und die Jungens ennuyieren? 
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst! 
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen? 
Das Beste, was du wissen kannst, 
Darfst du den Buben doch nicht sagen. 
Gleich hör ich einen auf dem Gange! 
 |  1835
 
 
 
  1840
 
 
  | 
Faust 
Mir ist's nicht möglich, ihn zu sehn. 
 | 
 
  | 
Mephistopheles 
Der arme Knabe wartet lange, 
Der darf nicht ungetröstet gehn. 
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze; 
Die Maske muß mir köstlich stehn. (Er kleidet sich um.) 
Nun überlaß es meinem Witze! 
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit; 
Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit! 
(Faust ab.) 
 | 
  1845
 
 
 
  1850
 
  | 
Mephistopheles (in Fausts langem Kleide) 
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, 
Des Menschen allerhöchste Kraft, 
Laß nur in Blend- und Zauberwerken 
Dich von dem Lügengeist bestärken, 
So hab ich dich schon unbedingt- 
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben, 
Der ungebändigt immer vorwärts dringt, 
Und dessen übereiltes Streben 
Der Erde Freuden überspringt. 
Den schlepp ich durch das wilde Leben, 
Durch flache Unbedeutenheit, 
Er soll mir zappeln, starren, kleben, 
Und seiner Unersättlichkeit 
Soll Speis und Trank vor gier'gen Lippen schweben; 
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn, 
Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben, 
Er müßte doch zugrunde gehn! 
 | 
 
 
 
  1855
 
 
 
  1860
 
 
 
  1865
 
 
  | 
| 
 Ein SCHÜLER tritt auf. 
 | 
  | 
Schüler 
Ich bin allhier erst kurze Zeit, 
Und komme voll Ergebenheit, 
Einen Mann zu sprechen und zu kennen, 
Den alle mir mit Ehrfucht nennen. 
 | 
 
  1870
 
  | 
Mephistopheles 
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr! 
Ihr seht einen Mann wie andre mehr. 
Habt Ihr Euch sonst schon umgetan? 
 | 
 
 
 
  | 
Schüler 
Ich bitt Euch, nehmt Euch meiner an! 
Ich komme mit allem guten Mut, 
Leidlichem Geld und frischem Blut; 
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen; 
Möchte gern was Rechts hieraußen lernen. 
 |  1875
 
 
 
 
  | 
Mephistopheles 
Da seid Ihr eben recht am Ort. 
 |  1880
  | 
Schüler 
Aufrichtig, möchte schon wieder fort: 
In diesen Mauern, diesen Hallen 
Will es mir keineswegs gefallen. 
Es ist ein gar beschränkter Raum, 
Man sieht nichts Grünes, keinen Baum, 
Und in den Sälen, auf den Bänken, 
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken. 
 | 
 
 
 
  1885
 
 
  | 
Mephistopheles 
Das kommt nur auf Gewohnheit an. 
So nimmt ein Kind der Mutter Brust 
Nicht gleich im Anfang willig an, 
Doch bald ernährt es sich mit Lust. 
So wird's Euch an der Weisheit Brüsten 
Mit jedem Tage mehr gelüsten. 
 | 
 
  1890
 
 
 
  | 
Schüler 
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen; 
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen? 
 | 
  1895
  | 
Mephistopheles 
Erklärt Euch, eh Ihr weiter geht, 
Was wählt Ihr für eine Fakultät? 
 | 
 
 
  | 
Schüler 
Ich wünschte recht gelehrt zu werden, 
Und möchte gern, was auf der Erden 
Und in dem Himmel ist, erfassen, 
Die Wissenschaft und die Natur. 
 | 
 
  1900
 
  | 
Mephistopheles 
Da seid Ihr auf der rechten Spur; 
Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen. 
 | 
 
 
  | 
Schüler 
Ich bin dabei mit Seel und Leib; 
Doch freilich würde mir behagen 
Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib 
An schönen Sommerfeiertagen. 
 | 
  1905
 
 
  | 
Mephistopheles 
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen, 
Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen. 
Mein teurer Freund, ich rat Euch drum 
Zuerst Collegium Logicum. 
Da wird der Geist Euch wohl dressiert, 
In spanische Stiefeln eingeschnürt, 
Daß er bedächtiger so fortan 
Hinschleiche die Gedankenbahn, 
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer, 
Irrlichteliere hin und her. 
Dann lehret man Euch manchen Tag, 
Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag 
Getrieben, wie Essen und Trinken frei, 
Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei. 
Zwar ist's mit der Gedankenfabrik 
Wie mit einem Weber-Meisterstück, 
Wo ein Tritt tausend Fäden regt, 
Die Schifflein herüber hinüber schießen, 
Die Fäden ungesehen fließen, 
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt. 
Der Philosoph, der tritt herein 
Und beweist Euch, es müßt so sein: 
Das Erst wär so, das Zweite so, 
Und drum das Dritt und Vierte so; 
Und wenn das Erst und Zweit nicht wär, 
Das Dritt und Viert wär nimmermehr. 
Das preisen die Schüler allerorten, 
Sind aber keine Weber geworden. 
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben, 
Sucht erst den Geist heraus zu treiben, 
Dann hat er die Teile in seiner Hand, 
Fehlt, leider! nur das geistige Band. 
Encheiresin naturae nennt's die Chemie, 
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie. 
 | 
 
  1910
 
 
 
  1915
 
 
 
  1920
 
 
 
  1925
 
 
 
  1930
 
 
 
  1935
 
 
 
  1940
 
  | 
Schüler 
Kann Euch nicht eben ganz verstehen. 
 | 
 
  | 
Mephistopheles 
Das wird nächstens schon besser gehen, 
Wenn Ihr lernt alles reduzieren 
Und gehörig klassifizieren. 
 | 
 
  1945
  | 
Schüler 
Mir wird von alledem so dumm, 
Als ging, mir ein Mühlrad im Kopf herum. 
 | 
 
 
  | 
Mephistopheles 
Nachher, vor allen andern Sachen, 
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen! 
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt, 
Was in des Menschen Hirn nicht paßt; 
Für was drein geht und nicht drein geht, 
Ein prächtig Wort zu Diensten steht. 
Doch vorerst dieses halbe Jahr 
Nehmt ja der besten Ordnung wahr. 
Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag; 
Seid drinnen mit dem Glockenschlag! 
Habt Euch vorher wohl präpariert, 
Paragraphos wohl einstudiert, 
Damit Ihr nachher besser seht, 
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht; 
Doch Euch des Schreibens ja befleißt, 
Als diktiert, Euch der Heilig Geist! 
 | 
 
  1950
 
 
 
  1955
 
 
 
  1960
 
 
 
  | 
Schüler 
Das sollt Ihr mir nicht zweimal sagen! 
Ich denke mir, wie viel es nützt 
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, 
Kann man getrost nach Hause tragen. 
 | 
  1965
 
 
  | 
Mephistopheles 
Doch wählt mir eine Fakultät! 
 | 
 
  | 
Schüler 
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen. 
 | 
 
  | 
Mephistopheles 
Ich kann es Euch so sehr nicht übel nehmen, 
Ich weiß, wie es um diese Lehre steht. 
Es erben sich Gesetz' und Rechte 
Wie eine ew'ge Krankheit fort; 
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, 
Und rücken sacht von Ort zu Ort. 
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; 
Weh dir, daß du ein Enkel bist! 
Vom Rechte, das mit uns geboren ist, 
Von dem ist, leider! nie die Frage. 
 |  1970
 
 
 
  1975
 
 
 
 
  | 
Schüler 
Mein Abscheu wird durch Euch vermehrt. 
O glücklich der, den Ihr belehrt! 
Fast möcht ich nun Theologie studieren. 
 |  1980
 
 
  | 
Mephistopheles 
Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen. 
Was diese Wissenschaft betrifft, 
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden, 
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift, 
Und von der Arzenei ist's kaum zu unterscheiden. 
Am besten ist's auch hier, wenn Ihr nur einen hört, 
Und auf des Meisters Worte schwört. 
Im ganzen- haltet Euch an Worte! 
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte 
Zum Tempel der Gewißheit ein. 
 | 
 
  1985
 
 
 
  1990
 
 
  | 
Schüler 
Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein. 
 | 
 
  | 
Mephistopheles 
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen 
Denn eben wo Begriffe fehlen, 
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. 
Mit Worten läßt sich trefflich streiten, 
Mit Worten ein System bereiten, 
An Worte läßt sich trefflich glauben, 
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben. 
 | 
  1995
 
 
 
  2000
  | 
Schüler 
Verzeiht, ich halt Euch auf mit vielen Fragen, 
Allem ich muß Euch noch bemühn. 
Wollt Ihr mir von der Medizin 
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen? 
Drei Jahr ist eine kurze Zeit, 
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit. 
Wenn man einen Fingerzeig nur hat, 
Läßt sich's schon eher weiter fühlen. 
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  2005
 
 
 
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Mephistopheles (für sich) 
Ich bin des trocknen Tons nun satt, 
Muß wieder recht den Teufel spielen. 
(Laut.) Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen; 
Ihr durchstudiert die groß, und kleine Welt, 
Um es am Ende gehn zu lassen, 
Wie's Gott gefällt. 
Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich schweift, 
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann; 
Doch der den Augenblick ergreift, 
Das ist der rechte Mann. 
Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut, 
An Kühnheit wird's Euch auch nicht fehlen, 
Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut, 
Vertrauen Euch die andern Seelen. 
Besonders lernt die Weiber führen; 
Es ist ihr ewig Weh und Ach 
So tausendfach 
Aus einem Punkte zu kurieren, 
Und wenn Ihr halbweg ehrbar tut, 
Dann habt Ihr sie all unterm Hut. 
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen, 
Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt; 
Zum Willkomm tappt Ihr dann nach allen Siebensachen, 
Um die ein andrer viele Jahre streicht, 
Versteht das Pülslein wohl zu drücken, 
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken, 
Wohl um die schlanke Hüfte frei, 
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei. 
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  2010
 
 
 
  2015
 
 
 
  2020
 
 
 
  2025
 
 
 
  2030
 
 
 
  2035
 
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Schüler 
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch, wo und wie. 
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Mephistopheles 
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, 
Und grün des Lebens goldner Baum. 
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Schüler 
Ich schwör Euch zu, mir ist's als wie ein Traum. 
Dürft ich Euch wohl ein andermal beschweren, 
Von Eurer Weisheit auf den Grund zu hören? 
 |  2040
 
 
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Mephistopheles 
Was ich vermag, soll gern geschehn. 
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Schüler 
Ich kann unmöglich wieder gehn, 
Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen, 
Gönn Eure Gunst mir dieses Zeichen! 
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  2045
 
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Mephistopheles 
Sehr wohl. (Er schreibt und gibt's.) 
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Schüler (liest) 
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum. 
(Macht's ehrerbietig zu und empfiehlt sich.) 
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Mephistopheles 
Folg nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange, 
Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange! 
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  2050
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 Faust tritt auf. 
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Faust 
Wohin soll es nun gehn? 
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Mephistopheles 
Wohin es dir gefällt. 
Wir sehn die kleine, dann die große Welt. 
Mit welcher Freude, welchem Nutzen 
Wirst du den Cursum durchschmarutzen! 
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Faust 
Allein bei meinem langen Bart 
Fehlt mir die leichte Lebensart. 
Es wird mir der Versuch nicht glücken; 
Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken. 
Vor andern fühl ich mich so klein; 
Ich werde stets verlegen sein. 
 |  2055
 
 
 
  2060
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Mephistopheles 
Mein guter Freund, das wird sich alles geben; 
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben. 
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Faust 
Wie kommen wir denn aus dem Haus? 
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen? 
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Mephistopheles 
Wir breiten nur den Mantel aus, 
Der soll uns durch die Lüfte tragen. 
Du nimmst bei diesem kühnen Schritt 
Nur keinen großen Bündel mit. 
Ein bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde, 
Hebt uns behend von dieser Erde. 
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf; 
Ich gratuliere dir zum neuen Lebenslauf! 
 |  2065
 
 
 
  2070
 
 
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